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aus PALSTEK 3/97
Höhenwetter
Sie rasen mit mehrfacher Orkanstärke durch die oberen Schichten der Troposphäre. Reißen bodennahe Luft in die Höhe und lassen sie an anderer Stelle wie schäumende Wasserfälle wieder hinabstürzen. Diese "Jet-Streams" genannten Höhenwinde schaffen den Ausgleich, wenn in den gemäßigten Zonen warme und kalte Luftmassen aufeinanderprallen.
Regen, Wind und Sonnenschein: Was wir Wetter nennen, geschieht nicht nur an der Erdoberfläche, sondern in der gesamten unteren Schicht der Atmosphäre, der Troposphäre. Ein Charakteristikum dieser Schicht ist, dass es in ihr immer kälter wird, je höher man gelangt. In der darüber gelegenen Stratosphäre nimmt dagegen die Lufttemperatur mit der Hohe wieder zu.
Die Troposphäre ist zwar im Verhältnis zur gesamten Atmosphäre dünn. Sie ist aber mit einer Ausdehnung von etwa acht Kilometern über den Polen bis zu sechzehn Kilometern über dem Äquator dick genug, dass man in unterschiedlichen Höhen unterschiedliche Wettererscheinungen beobachten kann.
Wer viel fliegt, kennt die Phänomene: Während des Starts zum Beispiel weht es stürmisch, Turbulenzen schütteln die Maschine durch. Kaum aber hat man weit über den Wolken die Reiseflughöhe erreicht, wird es vollkommen ruhig.
Doch die Ruhe ist nicht garantiert. Denn zuweilen treffen Flugzeuge in der Höhe auf Starkwindfelder mit Windgeschwindigkeiten bis zu mehreren hundert Knoten. Das ist ein gewaltiger Steam: Schon wenn der Wind mit mehr als 64 Knoten weht, spricht man von einem Orkan mit Windstärke 12 der Beaufortskala. Diese kräftigen Höhenströmungen verlaufen auf der nördlichen Halbkugel in der Regel in west-östlicher Richtung. Fliegt man zum Beispiel von den Kanarischen Inseln nach Hamburg, können sie die Flugzeit um eine volle Stunde verkürzen.
Die Weltorganisation der Meteorologen WMO (World Meteorological Organization) nennt den Orkan in der Höhe Jet-Stream. Sie definiert ihn als "... eine starke und relativ schmale Luftströmung, die entlang einer quasi-horizontalen Achse in der oberen Troposphäre oder in der Stratosphäre konzentriert ist, und die durch starke vertikale und laterale Windscherungen (Veränderung der Windgeschwindigkeiten) charakterisiert ist...".
Die Existenz von Jet-Streams ist Ende der dreißiger Jahre etwa zeitgleich in den USA und in Deutschland - hier von dem Meteorologen Heinrich Seilkopf, der an der Deutschen Seewarte am Hamburger Stintfang arbeitete - entdeckt worden. Zunächst hielt man die Höhenströmung nur für ein Problem der Luftfahrt: Hochfliegende Flugzeuge kamen wegen starken Gegenwindes nicht mehr von der Stelle oder flogen gar "rückwärts",
Bald erkannte man aber, dass Höhenströmungen mehr bewirken: Sie steuern den Wetterverlauf an der Erdoberfläche.
Jet-Streams entstehen infolge von "Unregelmäßigkeiten": Die Ausdehnung der Troposphäre variiert, wie eingangs erwähnt, zwischen sechzehn Kilometern am Äquator und acht Kilometem an den Polen. Ihre "Dicke" nimmt aber nicht gleichmäßig ab. Im Bereich der gemäßigten Breiten zwischen 40 und 60 Grad beobachtet man einen "Tropopausenbruch": Die Tropopause - der "Deckel" der Troposphäre - verändert schlagartig ihre Höhe. Denn hier treffen warme Tropen- und kalte Arktik-Luft aufeinander: "Luftmassen", die unterschiedlich hoch reichen.
Was geschieht? Stellen wir uns die Erde als Scheibe und Luft als Säule vor, die auf ihr lastet. Warme Luft dehnt sich aus; sie besitzt eine geringere Dichte (Gewicht pro Volumeneinheit) als Kaltluft. Eine warme Luftsäule - die ja leichter ist - übt demnach einen geringeren Druck auf die Erdoberfläche aus als eine kalte - vorausgesetzt, beide Säulen haben das gleiche Volumen.
Mit der Höhe nimmt der Luftdruck, ab, gleichgültig, ob es sich um warme oder kalte Luft handelt. Leicht zu verstehen: Die Luftsäule wird ja "kürzer", also leichter, je höher man gelangt.
Nun dehnt sich warme Luft nach oben aus: Eine warme Luftsäule ist also "länger" als eine kalte. Diese unterschiedliche "Länge" bewirkt, dass mit der Höhe der Druck in Warmluft langsamer abnimmt als in Kaltluft.
Dieses Phänomen ist tatsächlich nachweisbar. Lässt man einen mit Messgeräten bestückten Ballon auf eine bestimmte Höhe steigen, wird er in kalter Luft eine stärkere Druckabnahme melden, als in warmer Luft. Anders herum: Einen bestimmten Druck - zum Beispiel 500 Hektopascal, also etwa die Hälfte des auf dem Erdboden herrschenden Druckes - misst der Ballon in kalter Luft auf einem niedrigeren Höhen-Niveau als in warmer. Liegt hier beispielsweise die 500-Hektopascal-Ebene auf 5.800 Metern, wird sie in kalter Luft vielleicht schon in 5.000 Metern Höhe zu finden sein.
Wie ein schäumender Wasserfall das Gefälle zwischen einem Gebirgsbach und dem Talsee ausgleicht, schafft der Jet-Stream den Ausgleich des Energiegefälles zwischen den unterschiedlich warmen Luftmassen.
Tropen und Arktikluft prallen in den gemäßigten Breiten unmittelbar aufeinander. Der Ausgleich muss also fast schlagartig und auf kurzem Weg stattfinden. Gewaltige Energiemengen müssen transportiert werden.
Der Jet-Stream wirkt wie ein gewaltiges Gebläse. Und wie ein Gebläse die Luft, die es fauchend ausstößt, zunächst einmal ansaugen muss, saugt der Jet-Stream Luft vom Erdboden nach oben und zwar an der Frontalzone zwischen warmer und kalter Luft.
Saugt er mehr Luft ab, als nachströmen kann, fällt der Luftdruck auf dem Boden. Das entstehende Bodentief verlagert sich in Richtung des Jet. Kennt man also den Verlauf der Höhenströmung, kann man mit guter Treffgenauigkeit die Zugbahn des Boden-Tiefs vorhersagen. Je jünger so ein Tief ist - wenn also das Druckgefälle noch nicht sehr stark ist und die Isobaren entsprechend weit auseinanderliegen - desto schneller zieht es. Altert es - die Kaltfront holt die Warmfront ein, und warme Luft wird vom Boden abgehoben: Es bildet sich eine Okklusion - verlangsamt sich die Zuggeschwindigkeit, und das Tief wird stationär oder zieht langsam in Richtung des Steuertiefs in der Höhe, mit dem es sich vereinigt.
Braucht der Jet mehr Puste, weil die Flächen gleichen Druckes weiter auseinander driften (Meteorologen sprechen von "Divergenz"), kann man davon ausgehen, dass das Bodentief sich kräftig vertiefen wird, vielleicht bis zum Sturmtief. In der Fachsprache: Ein Tief vertieft sich, wenn es ins "Delta" des Jet-Streams zieht.
Dieser gewaltige Höhenwind bläst nun nicht gleichmäßig von West nach Ost. Er verhält sich vielmehr wie ein Fluss, der sich in lang gezogenen Bogen seinen Weg sucht, der durch die Ebene "mäandert".
Der Jet-Stream mäandert in der Höhe. Seine Bahn verläuft wellenförmig abwechselnd mal in süd-, mal in nordöstlicher Richtung. Die südwärts gerichteten Ausbeulungen dieser "planetarischen Wellen" heißen Trog, die nordwärts gerichteten Rücken. Diese Wellenstruktur, deren Ursache die Erddrehung ist, liegt nicht fest: Tröge und Rücken wandern von West nach Ost.
Je mehr "Ausbeulungen" vorhanden sind, desto schneller verlagern sie sich. Sind wenige Wellen vorhanden, und ist der Abstand zwischen Trog und Rücken - die Wellenlänge - entsprechend groß, verlangsamt sich die West-Ost-Bewegung. Beträgt die Wellenlänge mehr als 6.000 Kilometer, setzt eine Wanderung von Ost nach West ein.
Meteorologen machen den Verlauf der Höhenströmungen mit Hilfe von "Höhendruckanalysen", die sie auch "absolute Topografien" nennen, grafisch sichtbar. Dies sind Wetterkarten, die die Druckverteilung in der Höhe beschreiben.
"Normale" Wetterkarten, wie wir sie als Seewetterkarten kennen, kennzeichnen mit Hilfe von Linien gleichen Druckes ("lsobaren") Hoch- und Tiefdruckgebiete an der Erdoberfläche.
Absolute Topografien erschließen das Wetter in der dritten Dimension des Raumes, in der Höhe. Wie in einer Gebirgswanderkarte sind dort Höhenlinien ("Isohypsen") eingezeichnet: Man geht von einem bestimmten Druck aus - zum Beispiel 500 Hektopascal - und zeichnet in die Karte, in welchen Höhen dieser Druck gemessen wurde. Isohypsen verbinden die Orte miteinander, an denen 500 Hektopascal in derselben Höhe gemessen wurde. Innerhalb niedrig liegender Höhenlinien befindet sich kalte Luft - in kalter Luft nimmt ja der Druck mit der Höhe schneller ab -, sie kennzeichnen einen Höhentrog mit niedrigem Druck. Hohe Linien begrenzen warme Luft und einen Höhenrücken mit hohem Druck.
Während Bodenwetterkarten mehr oder weniger abgeschlossene Druck-gebilde zeigen, sieht man in der Höhendruckanalyse den wellenförmigen Verlauf der Strömung.