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aus PALSTEK 2/99
Der Kiel
Über Aufgaben und Wirkungsweise von Yachtkielen gibt es erstaunlich viele Ansichten. Wir wollen zur Klärung beitragen.
Der Besuch von Messeverkaufsständen ist immer aufschlussreich. Beispiel: Werften. Da preist ein Verkäufer die neue Yacht mit den Worten an: "Unsere Boote haben einen großflächigen Langkiel. Der verringert die Abdrift und ist kursstabil." Der nächste: "Der Kurzkiel unseres Bootes hat ein NACA-Profil; der läuft wie auf Schienen." Wieder ein anderer: "Das Schiff ist enorm stabil; es hat einen Ballastanteil von fast 50 Prozent."
Am nächsten Stand: "Die voluminöse Kielbombe erhöht den Auftrieb, da können Sie mehr Ladung zupacken." Und: "Die breiten Flügel am Kiel ermöglichen ein fast senkrechtes Trockenfallen." übertrieben? Keineswegs, all diese Gespräche sind tatsächlich geführt worden: der Kiel, das unbekannte Wesen.
Grundsätzlich soll der Kiel einer Segelyacht vier Aufgaben übernehmen:
- Er soll die Abdrift vermindern und Segeln am Wind ermöglichen.
- In Verbindung mit dem Ballast soll er ein möglichst großes aufrichtendes Moment erzeugen.
- Er soll unangenehme Rollbewegungen dämpfen und dem Schiff erträgliche Seegangseigenschaften verleihen.
- Schließlich soll er zusammen mit dem Ruder einen möglichst ausgeglichenen Kompromiß zwischen Manövrierfähigkeit und Kursstabilität ermöglichen.
Der Kiel als Tragflügel
Genau wie Ruder und Segel ist der Kiel in strömungsmechanischer Sicht ein Tragflügel, der Auftrieb - und zwar in horizontaler Richtung - erzeugt, wenn das Boot am Wind segelt. Durch die Abdrift des segelnden Bootes wird der Kiel in einem kleinen Winkel von Wasser angeströmt. An seiner Strömungsluvseite entwickelt sich ein über- und an seiner Strömungsleeseite ein Unterdruck und als Resultat dieser Druckunterschiede eine senkrecht zur Fahrtrichtung der Yacht wirkende Seitenkraft. Zugleich entsteht aber auch Widerstand. Seitenkraft und Widerstand am Kiel sind Komponenten einer hydrodynamischen Gesamtkraft, genau wie Auftrieb und Widerstand am Segel Komponenten einer aerodynamischen Gesamtkraft sind. Letztere läßt sich wiederum in die Komponenten Vortrieb und Krängungskraft zerlegen. Ist die aerodynamische Krängungskraft so groß wie die hydrodynamische Seitenkraft und ist der hydrodynamische Widerstand so groß wie der Vortrieb, segelt das Boot in einem stationären Zustand: Krängung, Geschwindigkeit und Abdrift verändern sich nicht.
Nun möchte man schnell und mit möglichst wenig Abdrift hoch am Wind segeln können. Dazu braucht man einen Kiel, der viel hydrodynamischen Auftrieb und wenig Widerstand erzeugt und verwendet einen strömungsmechanisch besonders effektiven Tragflügel mit langer Anströmkante und kurzer Unterkante, oder anders ausgedrückt, mit einem großen Seitenverhältnis. Auch das Profil des Tragflügels kann Widerstand verringern. Das amerikanische National Advisory Committee for Aeronautics (NACA) hat verschiedene Profile von Flugzeugtragflügeln genormt. Symmetrische NACA-Profile werden auch für Kiele verwendet. Die Bezeichnung NACA-profilierter Kiel sagt alleine noch nicht viel über die Güte des Kiels aus, sondern nur, dass sein Profil einer Norm entspricht. Noch effektiver arbeiten Kiele, wenn man mit einer Endplatte oder kleinen Flügeln - Winglets genannt - verhindert, dass an der Kielunterkante beim überschlagen von Luv- und Leeströmung bremsende Wirbelschleppen entstehen. Als Standfläche für ein trockenfallendes Boot sind sie weder gedacht noch geeignet. Immer noch argumentieren Freunde klassischer Langkielyachten damit, daß deren große Lateralfläche Abdrift verringere und gute Höhe am Wind gewährleiste. Das Gegenteil ist richtig: Lange Kiele und der dazugehörige S-spantige Rumpf erzeugen verhältnismäßig wenig Auftrieb, aber viel Widerstand. S-spantige Langkieler sind nicht sehr schnell, und sie segeln nicht sehr hoch am Wind.
Aerodynamik und Hydrodynamik sind nur am Wind wichtig. Vor dem Wind soll ein Segel möglichst viel Widerstand erzeugen, denn der Widerstand wirkt jetzt in Kursrichtung und treibt das Schiff an. Ein Kiel soll dagegen möglicht wenig Widerstand entwickeln, denn der bremst die Fahrt. Jollensegler holen deshalb vor dem Wind das Schwert aus dem Wasser. Auch hier ist der moderne Kiel mit großem Seitenverhältnis überlegen: Er entwickelt weniger Widerstand als ein Langkiel.
Das aufrichtende Moment:
Der Kiel soll nicht nur Seitenkraft, sondern in Verbindung mit Ballast auch ein aufrichtendes Moment erzeugen. Er gibt dem Boot damit eine zum Segeln notwendige Stabilität. Erinnern wir uns: Damit ein durch Krängung seitlich aus seiner Ruhelage gebrachtes Boot nicht kentert, muss ein aufrichtendes Moment dem krängenden Moment entgegenwirken. In aufrechter Ruhelage liegen Gewichts- und Auftriebsschwerpunkt genau übereinander, Gewicht und Auftrieb - gemeint ist hier Auftrieb durch Verdrängung; nicht zu verwechseln mit dem weiter oben genannten hydrodynamischen beziehungsweise aerodynamischen Auftrieb - wirken auf einer Achse und halten sich die Waage: Das Schiff schwimmt.
Wird es um die Längsachse gekrängt, wandert der Auftriebsschwerpunkt seitlich aus seiner Ruhelage. Dadurch wandern auch die Wirkachsen von Auftrieb und Gewicht auseinander; der seitliche Abstand dieser Achsen bildet einen Hebelarm, an dem das Gewicht ein aufrichtendes Moment erzeugt. Der Hebelarm wächst zunächst mit zunehmender Krängung, wird dann aber wieder kleiner, bis er auf Null zurückgeht, um schließlich wieder anzuwachsen.
Zwei Möglichkeiten gibt es, das aufrichtende Moment zu vergrößern: Man kann das Gewicht des Bootes vergrößern, indem man den Ballastanteil erhöht. Oder man legt den Ballast so tief, dass schon bei kleinen Krängungswinkeln ein großer aufrichtender Hebelarm entsteht.
Eleganter ist der zweite Weg, denn ein hoher Ballastanteil erhöht das Schiffsgewicht: Das belastet die Verbände und drückt die Fahrleistungen. Ein tiefgehender Kiel mit großem Seitenverhältnis ermöglicht also nicht nur gute Am-Wind-Eigenschaften; man kann mit einer Kielbombe den Gewichtsschwerpunkt so niedrig legen, dass schon ein verhältnismäßig geringer Ballastanteil ein hohes aufrichtendes Moment gewährleistet.
Dies sollte man auch berücksichtigen, wenn man die Prospekte von Werften oder Testberichte liest. Dort wird in der Regel der Ballastanteil in Prozenten angegeben. Ein hoher Ballastanteil bedeutet also nicht unbedingt hohe Stabilität sondern einen hochliegenden Gewichtsschwerpunkt und unter Umständen eher ungünstige Stabilitätseigenschaften.
Der Nachteil eines solchen Kieles liegt im Tiefgang des Bootes, der unter Umständen flachgehende Reviere wie die Watten unpassierbar macht. Je flacher der Kiel ist, desto mehr Ballast braucht er, und desto voluminöser ist die Ballastbombe an seinem Ende. Natürlich soll eine Ballastbombe keinen Auftrieb erzeugen, wie der eingangs erwähnte Verkäufer kühn behauptete, sondern den Gewichtschwerpunkt tiefer legen.
Die Rolldämpfung:
Rollbewegungen um die Schiffslängsachse werden auf verschiedene Weise gedämpft. Segelt das Boot am Wind, stabilisieren die am Segel entstehenden aerodynamischen und die am Kiel entstehenden hydrodynamischen Kräfte. Anders ausgedrückt: Das am Wind segelnde Boot ist ein dynamisches System mit einem aerodynamischen und einem hydrodynamischen "Dämpfungselement", die beide in gleicher Richtung arbeiten. Je höher die Wirksamkeit von Segel und Kiel ist, desto besser funktioniert die Rolldämpfung am Wind. Auch in grober See segeln solche Boote mit nahezu konstanter Krängung.
Vor dem Wind und auf raumen Kursen ändern sich die Verhältnisse allerdings. Jetzt arbeiten die beiden dynamischen "Dämpfungselemente" gegeneinander und bewirken eine dynamische Instabilität. Die kann im Extremfall das Boot unkontrollierbar machen; spektakuläre Regatta-Bilder moderner Renn-Yachten, die raumschots unter Spinnaker ins Geigen geraten und sich bis zur Kenterung aufschaukeln, beweisen das.
Rolldämpfung entsteht aber auch durch Widerstand, den die Lateralfläche des Rumpfes einer seitlichen Bewegung durch das Wasser entgegensetzt. Dieser Widerstand "verzehrt" die Energie, mit der Wind und Wellen ein Schiff rollen lassen. Je größer die Lateralfläche ist, desto mehr rolldämpfenden Widerstand erzeugt sie.
Bleibt festzuhalten: Ein hydrodynamisch wirksamer Kiel mit großem Seitenverhältnis und kleiner Fläche kann ein Boot unter Segeln am Wind sehr wirksam gegenüber Rollbewegungen stabilisieren. Auf raumen Kursen dagegen ist ein traditioneller Langkiel der bessere "Rolldämpfer", weil er mehr Widerstand entwickelt. überlegen sind die Rolldämpfungseigenschaften eines Langkiels auch, wenn das Boot unter Maschine fährt, oder - zum Beispiel beigedreht - nur wenig Fahrt durchs Wasser macht. Im ersten Fall fehlt die seitliche Anströmung des Kiels, die erst eine stabilisierende Seitenkraft erzeugt, im zweiten ist die Anströmung zu gering. Dämpfend wirkt hier nur der Widerstand, den man sich deshalb möglichst groß wünscht.
Kursstabilität und Manövrierfähigkeit:
Gut steuern lässt sich ein Boot, wenn das Ruder, das wie der Kiel als Tragflügel funktioniert, bei Anstellung eine hohe Seitenkraft entwickelt und diese Seitenkraft an einem Punkt ansetzt, der weit genug vom Drehpunkt des Schiffes entfernt ist. So kann sie über einen langen Hebelarm ein großes Drehmoment erzeugen. Ansonsten sollte der Rumpf der Drehbewegung wenig Widerstand entgegensetzen; erwünscht ist also eine kleine Lateralfläche; Boote mit modernen Kielen lassen sich besser steuern als Langkieler.
Die gelten dafür als kursstabil. Auf dem langen Kiel, so die Vorstellung, läuft das Boot wie auf Schienen, und nichts kann es aus der Bahn werfen. Diese Vorstellung erweist sich in der Segelpraxis als Mythos, denn auch Langkieler können bei Lage starke Giermomente entwickeln, die das Boot vom Kurs abbringen, sofern man nicht mit dem Ruder korrigiert.
Krängt das Boot, streben Lateralschwerpunkt und Segeldruckpunkt auseinander. So entsteht ein Hebelarm, der mit der Krängung wächst und Giermomente bewirkt. Langkieler mit ihrem relativ hochliegenden Gewichtsschwerpunkt krängen stärker als Boote, deren tragflügelartiger Kiel am unteren Ende Ballast trägt und den Gewichtsschwerpunkt absenkt. Außerdem erzeugt der lange Kiel im Verhältnis zur hydrodynamischen Seitenkraft viel Widerstand. Dadurch werden die Kräfte, die das Giermoment bewirken, größer. Diese Darstellung ist stark vereinfacht, denn auch andere Faktoren, wie die Rumpfform und der Trimm von Segel und Rigg wirken sich auf Giermomente aus. Natürlich kann auch ein ausgewogen konstruierter und gut getrimmter Langkieler kursstabil sein. Er hat dies aber kaum seiner Kielform zu verdanken.
Viele Faktoren bestimmen die Güte eines Segelschiffes. Die wichtigste Rolle haben aber schon immer die Geschwindigkeit und ein möglichst effektiver Antrieb gespielt. Eine Yacht, die schnell und hoch am Wind segeln kann, ist auch für Fahrtensegler interessant: Sie ermöglicht, selbst mit begrenztem Zeitbudget noch fernere Häfen anzulaufen. Außerdem bietet sie, wie Untersuchungen über Schwerwettersegeln ergeben haben, tatsächlich so etwas wie aktive Sicherheit.
Die allein auf den überlieferten Erfahrungen der Bootsbauer beruhende Produktion von Schiffen, die über Jahrtausende hinweg zu beachtlichen Ergebnissen geführt hat, ist schon lange an ihre Grenzen gestoßen. Wissenschaftliche Forschung hat die Leistungsfähigkeit von Segelyachten in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren fraglos verbessert. Aber wie weit kann man die Optimierung der Boote noch treiben?
Fazit:
Fazit: Wie vieles an einem Schiff ist auch die Form des Kiels ein Kompromiss. Hydrodynamisch wirksame Kiele mit geringem Widerstand verbessern die Segeleigenschaften eines Bootes: Es segelt schnell und mit wenig Abdrift am Wind. Dazu lässt es sich gut steuern und verhält sich, ein gut getrimmtes Rigg und ausgewogene Rumpflinien vorausgesetzt, ausgeglichen und kursstabil.Tiefgehende Kiele legen zudem den Gewichtsschwerpunkt niedrig und ermöglichen eine hohe Stabilität bei verhältnismäßig geringem Ballastanteil. Der Tiefgang schränkt allerdings den Aktionsradius der Yacht ein. Ein Langkiel macht ein Schiff seefreundlicher, denn er dämpft unangenehme Schiffsbewegungen auch auf raumen Kursen, in langsamer Fahrt, unter Motor, beim Treiben vor Topp und Takel und vor Anker. Ein Boot mit hydrodynamisch effektivem Kiel und kleiner Lateralfläche sollte, solange die Mannschaft dies durchhält, in schwerem Wetter und bei grober See mit kleinster Besegelung aktiv und am Wind - nicht hart am Wind! - gesegelt werden. Anderenfalls werden seine Bewegungen die Crew schnell ermüden.