Peter Hahne · Meer und Medien

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aus PALSTEK 6/97

Mit Kagoro elbab

Mehr als 60.000 Berufsschiffe befahren pro Jahr die Unterelbe zwischen Hamburg und Feuerschiff Elbe 1. Sie teilen sich das Revier mit zahllosen Sportbooten. Keine Liebesgemeinschaft, und Konflikte bleiben nicht aus.

Schmutzigrot, cremeweiß und nachtblau mit giftig-gelben Streifen: In Zweier- und Dreierstapeln sind Container an Deck gelascht. Dazwischen lindgrün mit Rostnasen eine Rampe für Ladefahrzeuge. Weit vom am Bug, wie das überdimensionierte Korn einer Zielvorrichtung, ein Lichtermast. Voraus erstreckt sich der Strom, eingerahmt von Kaianlagen und Container-Kränen, die in sonntäglicher Muße ihre Ausleger zum Himmel recken.

Mit langsamer Fahrt gleitet der mächtige Rumpf durch den Hamburger Hafen. An seine Steuerbordseite schmiegt sich das Versetzboot. Seelotse Erich Mehlert packt die Jakobsleiter und turnt behende zur Lotsenluke des RoRo-Schiffes Kagoro hinauf. Ein Crewmitglied nimmt ihn dort in Empfang. Durch den halbleeren Laderaum, in dem es muffig stechend nach Treibstoff und Fäulnis riecht, über steile Stiegen, vorbei am defekten Personenaufzug hasten sie zur Brücke. Es ist nicht viel Zeit vorgesehen für den Lotsenwechsel.

Handschlag mit dem Kapitän und dem Hafenlotsen, der schon auf dem Sprung ist, ein Kopfnicken zur Brückencrew: Rudergänger, Ausguck und ein Offizier. Mit einem kurzen und routinierten Rundblick setzt sich Mehlert ins Bild. In seinem zivil wirkenden Lotsenanzug sieht der hochgewachsene, schlanke Mann fast elegant aus. Das kurzgeschnittene graue Haar ist akkurat frisiert, das Gesicht glattrasiert. Die Augen blicken hellwach und konzentriert durch die Gläser der modischen Brille. Mehlert strahlt Ruhe und Autorität aus. Seit 31 Jahren fährt er als Seelotse auf der Unterelbe.

Für die nächsten drei Stunden trifft er auf der Brücke die Entscheidungen. Offiziell ist er nur Berater des Kapitäns, aber tatsächlich liegt das Kommando in dieser Zeit bei ihm.

Über Funk kommt die Meldung, dass der Hafenlotse von Bord ist. Ein erstes Kommando: "Half ahead. - Halbe Kraft voraus". "Half ahead, Sir", bestätigt der Offizier; schwerfällig nimmt das Schiff Fahrt auf.

Mehlert soll das Schiff sicher von Hamburg-Teufelsbrück nach Brunsbüttel bringen. Von dort wird ein weiterer Lotse das Geleit bis Feuerschiff Elbe 1 übernehmen, erst dann ist Kagoro auf die offene See entlassen. Eine der meistbefahrenen Seeschifffahrtsstraßen der Welt liegt voraus. Starke Strömung, ein gewundenes Fahrwasser, das zu zahlreichen Kurswechseln zwingt, veränderliche Wassertiefen auch in der Fahrrinne erschweren die Passage der Unterelbe. Dazu kommen die Wassersportler, die am Wochenende mit ihren kleinen Booten in oft unübersehbarer Zahl zwischen den Berufsschiffen kreuzen.

Noch im Hafengebiet lässt der Lotse auf volle Fahrt gehen. Die Vibrationen des Brückenbodens werden spürbar stärker, leise beginnt eine Kaffeetasse auf dem Kartentisch zu klingeln. 15 Knoten Speed sind hier eigentlich zu viel, aber es weht kräftig, und der Wind drückt merklich von der Seite auf die gewaltige Rumpffläche, drückt das Schiff in Richtung Tonnenstrich. Kursstabil wird so ein Dampfer erst, wenn er richtig läuft.

"Brunsbüttel Elbe Traffic, Kagoro." "Kagoro?" "Mehlert, guten Tag. Passieren die Landesgrenze bei der 125. Wir gehen seewärts." "125 querab, haben Sie aufgefasst, Kagoro, gute Weiterfahrt." "Tschüss und gute Wache."

Vorschriftsmäßig meldet Mehlert das Schiff über Funk bei der Revierzentrale Brunsbüttel an. Alle Schiffsbewegungen auf der Unterelbe werden über ein modernes Radarsystem registriert. In Brunsbüttel überwachen Nautiker den Strom zwischen der grünen Fahrwassertonne mit der Nummer 125 am Rande Hamburgs und der Ostemündung einige Seemeilen vor Cuxhaven. Im Moment ist es ruhig im Revier.

Der kleine Yachthafen von Wedel-Schulau kommt in Sicht, und Mehlert lässt wieder auf halbe Fahrt heruntergehen. "Wenn wir hier 'full ahead' vorbeirauschen, saugen wir mit unseren neun Metern Tiefgang in einem Rutsch das Wasser aus dem Hafenkanal. Spätestens wenn es in einer gewaltigen Flutwelle zurück schwappt, brechen an den Stegen die Festmacher", sagt er.

Mehlert ist Segler und besitzt eine Bavaria 33. Er kennt beide Perspektiven: Die von oben, von der Brücke der Containerriesen, und die von unten, aus dem Cockpit einer Yacht. Er kennt den Zorn der Freizeitskipper, wenn die Großen ohne Rücksicht und mit Riesenschwell die Kleinen zum Tanzen bringen. Er kennt aber auch den kalten Schweiß im Nacken des Lotsen, wenn ein Segler bei flauem Wind noch eben vor dem Bug des 35.000-Tonners durchkreuzen will und im toten Winkel hinter der Decksladung verschwindet.

"Vor vierzehn Tagen war hier die Holle los, da war die Elbe weiß von Segeln. Gab nur wenig Wind, das ist dann schlecht für beide Seiten. Die Boote dümpeln im Fahrwasser, aber den Jockel anschmeißen, das will niemand."

An diesem Nachmittag sind nicht viele Sportboote unterwegs. Starken Wind und Schauerböen hat der Wetterdienst vorhergesagt; da sind die meisten froh, wenn sie früh im Hafen sind.

Eine Gruppe von Booten zieht außerhalb des Fahrwassers platt vor'm Laken elbaufwärts. Mit dem Flutstrom segeln sie nach Hause, zu den Yachthäfen der Stadt am Strom. Friedlich und in respektvollem Abstand passieren sie Kagoro, gleiten flink über die Bug- und die Hecksee des Frachters.

Einige wenige aber wollen noch etwas erleben: Gegen Wind und Starkwind kreuzen sie elbabwärts. Eine schnelle IMS-Yacht, vielleicht 36 Fuß groß, liegt voraus. Die Crew hockt auf der hohen Kante, mit dem zweiten Reff machen sie gute Fahrt. In langen Schlägen queren sie immer wieder das Fahrwasser, während sich Kagoro langsam nähert.

Mehlert nimmt gelassen einen Schluck aus dem Teebecher, behält die Yacht aber im Auge. Noch ist der Abstand groß genug, auch wenn es von der Brücke schon recht knapp aussieht.

Wieder ist die Yacht durchgegangen, fährt auf die Wedeler Elbseite, bis es der Crew vor den Stacks zu flach wird. Wende! Das Boot geht auf Backbordbug und nähert sich erneut Kagoro. Jetzt wird es eng. Die Peilung ändert sich nur noch wenig, und die Yacht droht in den toten Winkel hinter den an Deck gelaschten Containern einzutauchen. Dann ist sie von der Brücke nicht mehr zu sehen. Mehlert steht neben dem Radargerät.

Da schmeißen die vorn die Vorschot los; in engem Bogen wendet das Boot und strebt auf Steuerbordbug wieder aus dem Fahrwasser.

"Na, die haben die Wasserschutz gesehen und wollen keinen Ärger", vermutet Erich Mehlert und zeigt auf ein Patrouillenboot der Wasserschutzpolizei, das entgegen kommt.

Im selben Augenblick überholt in voller Fahrt, das Heckwasser weiß aufgewühlt von dröhnenden Antriebsturbinen, der Hansepfeil an Kagoro's Backbordseite: einer von zwei Fährkatamaranen, die zwischen dem Hamburger Hafen und dem Elbstädtchen Stade pendeln und 36 Knoten schnell Auswärtige zur Arbeitsstätte bringen.

"Wenn die Yacht vor uns durch gegangen wäre, wäre sie dem Katamaran genau vor den Bug gefahren", sagt Mehlert leise.

Vielleicht hat die Crew so wie der Lotse den Katamaran schon lange aufkommen sehen und deshalb gewendet. Vielleicht waren sie aber auch nur auf den Container-Riesen konzentriert, dem sie immer wieder vor der Nase tanzten - dann haben sie Glück gehabt.

Auf der Höhe von Lühesand knickt das Fahrwasser nach Nordwest ab. Kursänderung! In Abstufungen von fünf Grad gibt Mehlert dem Rudergänger neue Kurse an. Träge wie ein müder Wal gehorcht Kagoro: Das Flussufer wandert vor dem vorderen Lichtermast langsam nach links aus.

Das Schiff folgt nicht der Kurve, die der Strom beschreibt. Es fährt auf einer imaginären Radarlinie, die in der Mitte des Fahrwassers verläuft. Zweimal knickt sie nach Nordwest ab, und Kagoro dreht entsprechend zweimal ein.

"Viele Segler verstehen unsere Manöver nicht. Wenn dort, wo wir den Kurs ändern, eine Yacht vor unserem Bug durchkreuzen will, wird der Weg für sie immer länger."

Wieder eine Kursangabe für den Rudergänger.

"Der Skipper peilt uns: geht klar! Da drehen wir ein, halten auf die Yacht zu. Der Skipper ist verunsichert, peilt erneut, fällt etwas ab und glaubt so klarzukommen. Da drehen wir erneut ein, halten wieder auf sein Boot zu. Wenn jetzt noch ein Schiff entgegenkommt und den Rückweg abschneidet, wird es eng für ihn. Auf jeden Fall hat er Stress."

Der Rudergänger meldet den anliegenden neuen Kurs, und Mehlert bestätigt. "Manche glauben, dass wir sie ärgern wollen. Aber wir müssen so fahren. In der Seekarte sieht man, wo die Radarlinie ab knickt. Besser, wenn Sportboote hier außerhalb des Fahrwassers bleiben." Auf den wenigen Booten, die Kagoro jetzt noch begegnen, scheint man die Worte des Seelotsen gehört zu haben: Brav bleiben sie jenseits des Tonnenstriches.

Es wird Abend. Einige Großschiffe ziehen noch Richtung Hamburg, aber viel Verkehr findet nicht mehr statt. Das Kernkraftwerk Brokdorf ist passiert und das von Brunsbüttel schon in Sicht. Mehlerts Wache geht zu Ende. Hin und wieder gähnt er und macht damit deutlich, dass trotz der ruhigen Atmosphäre auf der Brücke die Konzentration der letzten Stunden ihren Tribut verlangt. In Brunsbüttel hat er einige Stunden Ruhe, Zeit für ein Schollenfilet mit Bratkartoffeln und ein Nickerchen in der Lotsenstation. Feierabend ist noch nicht in Sicht: "So gegen Mitternacht bin ich wieder an der Reihe. Dann bringe ich einen Dampfer nach Hamburg. Zu Hause bin ich erst am frühen Morgen."

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